Beitrag wurde verfasst am 23.08.2013

Verlust der genetischen Vielfalt

Die genetische Vielfalt im Feld. Der seltene Weizen-Ahn Emmer mit ebenso seltenen Kornblumen. FOTO: HEIKE SCHMIDT-SCHEUB, GEA

Biodiversität - EU plant neues Saatgutrecht. Nischenzüchter und Produzenten befürchten Aussterben alter Sorten
23.08.2013 GEA, VON JULIE-SABINE GEIGER

RÖMERSTEIN/HOHENSTEIN.
Ein Päckchen Alblinsen als nachdrückliche Gedankenstütze in einer Herzensangelegenheit für den Europa-Abgeordneten Michael Theurer, FDP. Der Parlamentarier wird über ein Gesetz abzustimmen haben, gegen das sich Züchter und Produzenten alter und seltener Getreide- und Linsensorten, aber auch Vermehrer von Obstgehölzen und Gemüsesamen seit seiner Vorlage formieren.

Die EU plant das Saatgutrecht zu reformieren. Darin sehen die Bewahrer und Förderer alter Sorten wie die 70 in der Öko-Erzeugergemeinschaft »Alb-Leisa« vereinten Landwirte zwischen Römerstein und Hohenstein, aber auch Umweltverbände wie der Nabu, Slow Food, Bund, Arche Noah und weitere, Ungemach. Sie befürchten, dass, wenn das Gesetz in seiner aktuellen Fassung durchgewunken wird, die EU künftig regelt, ob sie eigenes Saatgut tauschen oder verschenken dürfen. Zudem fürchten sie die weitere Machtkonzentration der Saatgutkonzerne und den Verlust der genetischen Vielfalt, weil alte und Nischensorten dann kaum noch Chancen auf Zulassung haben werden.

Geschmack der Vielfalt

Dass der Gesetzentwurf der EU-Kommission so nicht realisiert werden darf haben der Bio-Bäcker Heinrich Beck und die beiden Bio-Landwirte Woldemar Mammel, als Vorsitzender des Vereins Alblinsen – Förderverein für alte Kulturpflanzen auf der Schwäbischen Alb, und Franz Häußler, Linsenanbauer im Raum Ehingen, dem Europapolitiker am Mittwoch beim Besuch in der Römersteiner Backstube von Heinrich Beck deutlich gesagt. Ein Pfund Linsen und das Buch, in dem der lange Weg der Späthschen Alblinse von der St. Petersburger Genbank zurück auf die Felder der Schwäbischen Alb eindrucksvoll dokumentiert ist, sollen dem Politiker Theurer, der von den liberalen Weggefährten Andreas Glück und Pascal Kober begleitet wurde, verdeutlichen, was Agrobiodiversität ist und wie die Vielfalt schmeckt.

Deutliche Worte auch von Heinrich Beck, der mit den Landwirten in den Neunziger Jahren den in Vergessenheit geratenen schwäbischen Alb-Dinkel zurück auf die Römersteiner Felder geholt hat, weil seine Rohstoffe aus der Region kommen sollten. Beck: »Da werden im Brüsseler stillen Kämmerlein Sachen ausgemacht, die drehen die Deutschen dann für die Großen. Und auf der Alb stürzen dann viele unserer Projekte wie ein Kartenhaus zusammen.« Er habe Angst um seine Landwirte, seinen Betrieb und seine Kunden, die ihm vertrauen, schilderte Beck die Bredouille und appellierte an Theurer: »Unterstützen Sie uns, dass da nichts passiert.«

Gesetz für Monopolisten

Darum geht es: Die EU-Kommission will das Saatgutrecht reformieren. Das betrifft sowohl die Vermarktung und den Austausch von Saat- und Pflanzgut als auch die Produktion und Zulassung von Sorten. So ein Zulassungsverfahren für eine einzige Gemüse- oder Getreidesorte kann in die Tausende gehen. Kleinbetriebe, die traditionelle, geografisch beschränkte Sorten oder Landrassen anbauen, können sich derart teure Anerkennungsverfahren nicht leisten.

»Unsere Alblinsen laufen als Landsorten, das Saatgut ist nicht homogen, das würde ein Zertifizierungsverfahren des Bundessortenamts nie schaffen«, erklärt Linsenzüchter Woldemar Mammel. »Wir sehen gar nicht ein, was die Registrierung alter Landrassen bringen soll. Ich halte das für kropfunnötig.« Frank Siefert, Bio-Getreideanbauer aus Römerstein, wurde deutlicher: »Wem das nützt, kann man an den Fingern abzählen. Den Großkonzernen.« Die Einschätzung teilen auch die den EU-Entwurf kritisierenden Verbände. »Der Gesetzesvorschlag kommt den Saatgutkonzernen weit entgegen. Sie brauchen ihm zufolge die neuen gentechnikähnlichen Züchtungsmethoden nicht zu kennzeichnen.« So heißt es in einer gemeinsamen Erklärung zur Reform des EU-Saatgutrechts, das 14 Verbände und Netzwerke, Save our Seeds darunter, unterzeichnet haben.

Michael Theurer, nach vier Jahren sicher auf dem Brüsseler Parkett, sprach vom großen Fingerhakeln der Lobbyisten. »Saatgut ist in der Tat etwas, wo man aufpassen muss. Ich hab das auf dem Schirm.« Peter Baader, Bierbrauer aus Zwiefalten, der seine Braugerste aus der Region bezieht, legte nach. »Wenn das Gesetz kommt, befürchte ich, dass die Konzerne den Markt bestimmen werden. Wir brauchen aber Gersten, die auf die Alb passen und sich geschmacklich von anderen unterscheiden.«

Dynamik des Systems

Ein weiterer Passus im Gesetzesentwurf wurmt die Saatgutnetzwerker. Der Packen von 39 sogenannten delegierten Rechtsakten, die schon mal andeuten, was nach dem Gesetz ohne die Kontrolle des EU-Parlaments kommt. »Bislang wird der Eindruck erweckt, dass der Hobbybereich und die Kleinunternehmer nicht betroffen sind«, äußerten Woldemar Mammel und Franz Häußler Bedenken. Aber Hobbygärtner und Kleinbauern, die ihr Saatgut tauschen, müssten ihre Sämereien künftig etikettieren, die Mengen dokumentieren. Von weiteren Regeln wie Verpackung, Kennzeichnung und Vermarktung sei in den Rechtsakten schon mal die Rede. »Die Dynamik dieses Systems wird verkannt«, warnte Franz Häußler. Der Landtagsabgeordnete Andreas Glück lässt hingegen hoffen: »Wer einmal Alblinsen gegessen hat, will nie wieder andere«, warb er.

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